„Flüchtlinge sind eine Gefahr für Volk und Glauben“
Geflüchtete Menschen werden in diesem Narrativ zu einer einheitlichen Gruppe und Gefahr von außen gemacht und dabei entmenschlicht. Flucht und Migration bedrohen in erster Linie das Eigene: Die eigene finanzielle Sicherheit, den christlichen Glauben in Deutschland oder die Sicherheit der Frauen in Deutschland steht auf dem Spiel. Die Ablehnung speist sich dabei immer aus antimuslimisch rassistischen Einstellungen, denn geflüchtete Menschen werden stets mit Muslim*innen gleichgesetzt. Verfolgten Christ*innen hingegen werde zu wenig geholfen.
„Flüchtlinge sind Wirtschaftsflüchtlinge“
Das Toxische Narrativ
Diese diskriminierende Erzählung bedient sich dem rassistischen Vorurteil, „Flüchtlinge“ seien in Wahrheit keine Schutzbedürftigen, sondern „Wirtschaftsmigranten“. Im christlichen Selbstbewusstsein wird das Grundrecht auf Asyl nicht in Frage gestellt – dafür wird es aber niemandem mehr zugestanden. Nach dieser Logik werden geflüchtete Menschen zu Prototypen von „Sozialschmarotzern“, die für alle sozialen Missstände in der Gesellschaft schuldig erklärt werden und kein Recht auf veränderte Lebensbedingungen haben.
Fragen zum Hinterfragen
Nach welchen Maßstäben können wir beurteilen, ob Menschen Schutz bedürfen? Mit welchem Recht können wir darauf beharren, nicht zu teilen? Geht es armen Menschen in Deutschland wirklich wegen der Geflüchteten schlecht? Sollten wir nicht für ein menschenwürdiges Leben für alle eintreten? Biblisch gesprochen: für Witwen und Waisen, Fremde und Arme, heute also: für Rentner*innen, Arbeitslose, soziale Bedürftige und eben auch Geflüchtete? Waren nicht zentrale biblische Figuren aus wirtschaftlicher Not auf Wanderschaft? Suchten nicht Abraham und Sara, Joseph und seine Brüder sowie Ruth das versprochene bessere Leben in anderen Ländern? Sind nicht der andere Teil der biblischen „Held*innen“ politische Flüchtlinge, wie Maria Joseph und Jesus, wie ganz Israel?
„Nächstenliebe ist Eigenliebe als Selbstschutz“
Das Toxische Narrativ
Diese Erzählung begründet die Weigerung, flüchtende Menschen aufzunehmen, indem das Gebot der Nächstenliebe als Schutz der eigenen Bevölkerung bzw. der Christ*innen ausgelegt wird. Es sei eben unchristlich, das eigene Volk und den christlichen Glauben zu gefährden, was die unvermeidliche Folge von Migration und der Aufnahme geflüchteter Menschen wäre. Die Bibel zeige aber, welche „Fremdlinge“ aufzunehmen seien, nämlich diejenigen, die sich assimilieren und die falsche Religion ablegen. Jesus, so die Erzählung, würde die wahre Gesinnung erkennen und Menschen höchstens mit dem Nötigsten versorgen. Nächstenliebe, behauptet dieses Narrativ, bedeutet nicht, sich selbst aufzuopfern.
Fragen zum Hinterfragen
Was hat Jesus auf die Frage „Wer ist mein Nächster“ (Lk 10,29. tl;dr: Nächster = Samariter = Ausländer und Ungläubiger) geantwortet? Wo wird in der Bibel gesagt, dass kulturelle Anpassung und Glaubensannahme eine Bedingung (!) für das Empfangen von Hilfe sei?
Weiterführende Links:
„Flüchtlinge sind selbst schuld an ihrem Leid“
Das Toxische Narrativ
Neben dem Vorwurf, geflüchtete Menschen seien keine „echten Flüchtlinge“, ist das Bild verbreitet, die Menschen seien selbst schuld an ihrem Leid in den Herkunftsländern. Dieses Narrativ wird vor allem auf Geflüchtete aus afrikanischen Ländern bezogen und zeigt kolonialistisch geprägte rassistische Vorurteile, insbesondere gegen schwarze Menschen. Diese seien einfach nicht in der Lage, ihre Länder wirtschaftlich aufzubauen und würden schon viel zu lange von Europa finanziell verwöhnt.
Fragen zum Hinterfragen
Sind nicht alle Menschen nach Gottesebenbild geschaffen, unabhängig von ihrer Hautfarbe? War und ist die Entwicklungshilfe der reichen, westlichen Länder neben ihrer wohltätigen Ausrichtung nicht genauso geprägt von wirtschaftlichen Interessen und Machtpolitik? Trägt nicht die koloniale Ausbeutung – auch durch Deutschland – Verantwortung an der wirtschaftlichen und politischen Lage in vielen Ländern? Sollten wir uns nicht besser für das Ende von (auch deutschen) Waffenlieferungen in alle Welt einsetzen, um die Gefahr von Bürgerkriegen zu verhindern?
„Antisemitismus ist durch Muslime importiert“
Das Toxische Narrativ
Dieses Narrativ hat eine doppelte Funktion: Einerseits findet sich damit ein weiterer Grund, gegen Geflüchtete und Muslim*innen Stimmung zu machen, und andererseits können Christ*innen antisemitische Einstellungen von sich weisen. Eine ablehnende und menschenverachtende Flüchtlingspolitik wird von diesem Narrativ als Schutz der jüdischen Bevölkerung verkauft. Nach außen wird Solidarität mit Jüd*innen demonstriert, ohne die eigene gewaltvolle christliche und deutsche Geschichte sowie gegenwärtige Vorurteile gegenüber dem Judentum zu thematisieren. Eine ähnliche Strategie finden wir auch bei Thema Frauenrechte/ Sexismus und Islam.
Fragen zum Hinterfragen
Wie passt dieser Vorwurf mit der Tatsache zusammen, dass nach Kriminalstatistiken der überwiegende Teil antisemitischer Straftaten dem rechten und extremen rechten Spektrum zugeordnet wird? Sollten wir nicht zuerst nach den Balken im eigenen Auge (Mt 7) schauen, bevor wir auf die Splitter im Auge der anderen verweisen? Wie viel Antijüdisches ist in unserer Tradition, aber auch in unserer Gegenwart? Wenn wir auf die undifferenzierte Kritik an Israel von Christ*innen schauen, sehen wir dann nicht ähnliche dämonisierende Vorurteile, wie sie den Geflüchteten unterstellt werden?
Weiterführende Links:
Über politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2018 in der Bundesrepublik Deutschland
Und nun?!!
Die Narrative weisen auf Themen hin, die nicht nur in der digitalen Öffentlichkeit insbesondere von rechten Akteuren befeuert werden und deren Diskussion durch Hass und Menschenfeindlichkeit geprägt sind. Oft sind wir mit diesen Narrativen konfrontiert und bleiben sprachlos. Neben der Beschreibung der analysierten toxischen Narrativen haben wir auch Fragen aus unserer Perspektive aufgeschrieben, die in der Auseinandersetzung um ein menschenfreundliches christliches Weltbild in Kirchen, Gemeinden oder in der Religionspädagogik helfen können.
Aufbauend auf der Analyse von Narrativen christlich codierter Hassrede wollen wir darüber hinaus mit Euch und Ihnen herausfinden, welche menschenfreundlichen Bilder und Erzählungen wir aus christlicher Perspektive entgegnen können. Wie können wir Botschaften der Hoffnung stärken und diese digital vermitteln? Um den Bogen from #hateSpeech to #hopeSpeech“ zu spannen, haben wir Seminare angeboten und ein Workshopformat entwickelt, das wir in Fortbildungen für Multiplikator*innen vermittelt haben.