„Der Islam bedroht uns“
Die Erzählung von einem einheitlichen und gewaltbereiten Islam ist weit verbreitet und findet sich auch in Politik, Gesellschaft und Medien, wenn gegen Geflüchtete gehetzt wird oder Ängste vor einer vermeintlichen Bedrohung geschürt werden. Der Kern dieses Bedrohungsnarrativs ist ein tief verankerter antimuslimischer Rassismus, der verschiedene gesellschaftliche Gruppen – von „besorgten Bürgern“ über PEGIDA bis hin zu Neonazis – verbindet. Der Islam und Menschen muslimischen Glaubens oder als Muslim*innen markierte Menschen werden dabei als gemeinsamer Feind identifiziert und nicht als Teil der Gesellschaft verstanden. Es wird pauschal ein unauflöslicher Gegensatz zwischen „denen“ und „uns“ konstruiert.
„Der Islam ist nicht vereinbar mit dem Christentum“
Das toxische Narrativ
Die sich auf das Christentum berufende Variante der Erzählung betont die religiösen Unterschiede und formuliert die Abgrenzung zum Islam im Namen des christlichen Glaubens: Muslim*innen würden einer rachsüchtigen und gewaltvollen Religion folgen und nicht an den Gott Abrahams und Saras glauben, an den Jüd*innen und Christ*innen glauben. Mitunter wird Gott (Allah) sogar zum Dämon, Verführer oder Teufel erklärt. Der Koran wird selektiv auf umstrittene Stellen reduziert, wohingegen gewaltvolle Stellen der Bibel verschwiegen oder durch das „friedliebende“ Neue Testament für aufgehoben erklärt werden, was wiederum an eine antijudaistische Lesart der Bibel anschließt.
Fragen zum Hinterfragen
Sollten wir uns nicht eher dem gemeinsamen Ausgangspunkt der drei Religionen bewusst werden, statt diesen zu leugnen und eine vermeintliche Überlegenheit des christlichen Glaubens zu postulieren? Fordern wir in Bezug auf die terroristische Gewalt der Kirchen in den Kreuzzügen und bei der Hexen- und Judenverfolgung nicht ein differenziertes Bild der Entwicklung unserer Religion? Muss diese Differenziertheit dann nicht auch für den Islam gelten?
„Wir werden islamisiert“
Das toxische Narrativ
Die Erzählung einer drohenden „Islamisierung“ des christlichen Abendlandes setzt Muslim*innen pauschal mit Terrorist*innen gleich und folgt, beruhend auf rassistischen Denkmustern, der historisch falschen Idee, es gebe einheitliche Kulturen bzw. Ethnien, wobei deren Einheitlichkeit häufig an der Religion festgemacht wird. Dieses Bedrohungsszenario wird konstruiert, um einen Kampf gegen ein vermeintlich deutsches, europäisches oder christliches Volk zu suggerieren. Rassistische Äußerungen und Forderungen gegen Muslim*e werden als „Notwehr“ in dem konstruierten Kampf bagatellisiert. In extremen Varianten werden in diesem Zusammenhang die Kreuzzüge als Verteidigungsstrategie verherrlicht. Wenn die Kirche das Gespräch mit muslimischen Vertreter*innen sucht, wird sie als Türöffner*in für eine „Islamisierung“ verunglimpft.
Fragen zum Hinterfragen
Wie können Menschen, die gerade vor der Gewalt des selbsternannten „Islamischen Staates“ fliehen, zu dessen Unterstützer*innen erklärt werden? Wie sollen die 5% Muslim*e in der Bundesrepublik das Land islamisieren? Ist es nicht gerade Aufgabe der Kirchen, mit islamischen Gemeinschaften in Deutschland in Kontakt zu bleiben, wenn Veränderungen angeregt werden sollen? Muss der biblische Satz „Fürchtet euch nicht!“ nicht stärker sein als jede Politik der Angst? Sollten wir nicht das Zusammenleben im Sinne eines „Ohne Angst verschieden sein“ gestalten und nicht von kulturell und religiös homogenen Gesellschaften ausgehen, die es nie gegeben hat?
„Mission statt Dialog“
Das toxische Narrativ
Einen interreligiösen Dialog zwischen Islam und Christentum kann es laut diesem Narrativ nicht geben. Jeder Austausch mit Muslim*innen bedeute blinde Anerkennung, Unterwerfung unter den Islam und eine Selbstaufgabe der vermeintlich homogenen „abendländischen“ Kultur und des christlichen Glaubens. Die einzige Möglichkeit, auf Muslim*innen zuzugehen, bestehe darin, sie zu missionieren, denn der Islam sei eine falsche, in sich böse Religion.
Fragen zum Hinterfragen
Wenn sowohl „Wir“ als auch „der Islam“ sich weiterentwickeln wollen, brauchen wir dann nicht das interreligiöse Gespräch, das auch den Streit beinhalten kann, statt einer Abwertung und Verteufelung des Anderen? Muss die Religionsfreiheit, auf die wir uns berufen, nicht für alle gelten? Zeugt nicht das Bild von der „Unterwerfung“ von sehr geringem Vertrauen in den eigenen Glauben oder gar Gott?
„Christen werden vom Islam verfolgt“
Das toxische Narrativ
Diesem Narrativ zu Folge sind Christ*innen diejenigen, die Schutz brauchen. Die Ablehnung von Geflüchteten und Migration wird mit dem Verweis auf Christenverfolgungen in islamisch geprägten Ländern gerechtfertigt. Schon hier und heute würden Christ*innen diskriminiert und an den Islam verraten. Wenn die angebliche Islamisierung nicht gestoppt werde, drohe auch bei uns eine massive Christenverfolgung. Die eigene Intoleranz wird mit dem Verweis auf eine pauschale Intoleranz des Islams gegenüber anderen Religionen legitimiert..
Fragen zum Hinterfragen
Wie können wir Korantexte dafür kritisieren, sie würden das Heil nur für Muslime versprechen und selbst an Joh 14,6 festhalten: „Jesus spricht […] Niemand kommt zum Vater denn durch mich“? Wenn Christ*innen in anderen Ländern verfolgt werden, warum sollten wir dann Gleiches mit Gleichem vergelten? Sollten wir nicht gegen jede Diskriminierung und jede Beschränkung der Religionsfreiheit protestieren, ohne einzelne Glaubensgemeinschaften gegeneinander auszuspielen?
Und nun?!!
Die Narrative weisen auf Themen hin, die nicht nur in der digitalen Öffentlichkeit insbesondere von rechten Akteuren befeuert werden und deren Diskussion durch Hass und Menschenfeindlichkeit geprägt sind. Oft sind wir mit diesen Narrativen konfrontiert und bleiben sprachlos. Neben der Beschreibung der analysierten toxischen Narrativen haben wir auch Fragen aus unserer Perspektive aufgeschrieben, die in der Auseinandersetzung um ein menschenfreundliches christliches Weltbild in Kirchen, Gemeinden oder in der Religionspädagogik helfen können.
Aufbauend auf der Analyse von Narrativen christlich codierter Hassrede wollen wir darüber hinaus mit Euch und Ihnen herausfinden, welche menschenfreundlichen Bilder und Erzählungen wir aus christlicher Perspektive entgegnen können. Wie können wir Botschaften der Hoffnung stärken und diese digital vermitteln? Um den Bogen from #hateSpeech to #hopeSpeech“ zu spannen, haben wir Seminare angeboten und ein Workshopformat entwickelt, das wir in Fortbildungen für Multiplikator*innen vermittelt haben.